Sehr geehrter Herr Gerichtspräsident
Hiermit reiche ich als bevollmächtigter Vertreter meiner Mutter – Frau […] (nachstehend Alleinerbin genannt) – innert der bis am 8. Mai 2015 erstreckten Frist die Stellungnahme zum Schreiben vom 2. April 2015 von […] als Vertreterin von […] (Stellungnahme i.S. Nachlass des […] betreffend Einsprache gegen die Ausstellung der Erbbescheinigung lautend auf […]), nachfolgend «Gegenpartei» genannt, ein und stelle folgende
Anträge
Die Anträge der Gegenpartei seien vollumfänglich abzuweisen
Es sei der Antrag von […] auf Ausstellung eines Erbscheines abzuweisen, mit Hinweis auf die fehlende Erbenstellung mangels Herabsetzungsklage;
eventualiter sei eine Erbbescheinigung lautend auf die Nachkommen beider Ehegatten […] (auf den allfälligen Überrest) auszustellen, mit dem Hinweis, dass die Vorerbin von der Sicherstellungspflicht ausdrücklich befreit ist; und zwar entsprechend der rechtskräftigen Testamentseröffnungsverfügung (Ziffer 2);
Es sei gestützt auf Ziffer 2 der rechtskräftigen Testamentseröffnungsverfügung der Ehefrau […] eine Erbbscheinigung als Alleinerbin (Vorerbin) auszustellen, mit dem Hinweis, dass die Vorerbin von der Sicherstellungspflicht ausdrücklich befreit ist. Die notwendigen Angaben der Alleinerbin sind bereits aktenkundig;
alles unter Kosten und Entschädigungsfolgen zulasten der Gegenpartei.
Begründung:
Ausführungen der Gegenpartei
Wir bestreiten die Ausführungen der Gegenpartei in ihrer Stellungnahme vom 2. April
2015, soweit wir diese im Folgenden nicht ausdrücklich anerkennen.
Keine Erbenstellung durch Wahlerklärung; Erfordernis der Herabsetzungsklage
Mit dem Ehe- und Erbvertrag vom xx. xxx 1990 zwischen […] sel. und […] (Kopie bereits bei Ihren Akten) wollten sich die beiden Ehegatten ganz offensichtlich gegenseitig bestmöglich absichern und begünstigen.
Dies ist u. a. aus folgenden Vereinbarungen/Verfügungen des Ehe- und Erbvertrages vom xx. xxx 1990 ersichtlich:
- das gesamte Vermögen (Eigengüter und Vorschläge beider Ehegatten) soll bis zum Ableben des Zweitversterbenden vereint bleiben (Ziffer 2 des Ehe und Erbvertrages);
- Einsetzung des überlebenden Ehegatten als alleinigen Vorerben, Befreiung des Vorerben von jeglicher Sicherstellungspflicht,
- Einsetzung des gemeinsamen und der nichtgemeinsamen Nachkommen als Nacherben auf den Überrest (Ziffer 3.1 des Ehe- und Erbvertrages);
- Der überlebende Ehegatte soll sämtliche Nachlassaktiven in natura an sich ziehen können (Ziffer 3.3b des Ehe- und Erbvertrages);
- Sämtliche Grundstücke sollen im Grundbuch auf den Namen des überlebenden Ehegatten eingetragen werden (Ziffer 3.3b des Ehe- und Erbvertrages).
Weiter sollten die nichtgemeinsamen Nachkommen beider Ehegatten unabhängig von der Reihenfolge des Ablebens der Ehegatten untereinander gleich gestellt werden (Ziffern 4 1 und 4 2 des Ehe- und Erbvertrages).
Der von […] zitierte Punkt 3.2 des Ehe- und Erbvertrages ist keine Verfügung, sondern lediglich ein Hinweis auf das Gesetz. Die Nachkommen des erstversterbenden Ehegatten werden damit auf ihren Pflichtteilsan-spruch und die sich daraus ergebenden rechtlichen Möglichkeiten aufmerksam gemacht.
Damit machen die Vertragsparteien, die Ehegatten […] und […] klar, dass sie wissen, dass die Vor- und Nacherbeneinsetzung die Pflichtteile der Nachkommen des erstversterbenden Ehepartners verletzen und sanktionieren dies für den Fall, dass ihr Wille nicht respektiert wird, mit dem Wegfall der Nacherbschaft für den betreffenden Nachkommen.
Klar und unbestritten ist, dass mit der Einsetzung des überlebenden Ehegatten als alleinigen Vorerben und der Einsetzung der Kinder als Nacherben (nichtgemeinsame zu 1/6 und der gemeinsame Sohn zu 2/6) die Pflichtteile der Nachkommen des erstversterbenden Ehegatten verletzt werden, weil die Pflichtteile nicht mit einer Vor- und Nacherbeneinsetzung belastet werden dürfen. Dies war den Ehegatten […] beim Abschluss des Ehe- und Erbvertrages absolut bewusst. Die bestehende erbvertragliche Verfügung über die Vor- und Nacherbeneinsetzung kann deshalb unseres Erachtens nicht durch ein einseitiges Wahlrecht bzw. eine einseitige Willenserklärung seitens einzelner Nacherben aufgehoben werden.
Überschreitet der Erblasser, wie im vorliegenden Ehe- und Erbvertrag, mit einer Nacherbeneinsetzung seine Verfügungsfreiheit (ZGB 531), so ist dies anfechtbar, aber nicht nichtig, und die Berechigten (in casu […] und […]) können insbesondere die Ungültigkeits- und Herabsetzungsklage erheben (ZGB 519 ff. bzw. 522 ff.).
Wir verweisen dazu insbesondere auf BGE 138 III 354, in welchem das Bundesgericht in Erwägung 5 explizit festgehalten hat, dass ein ausgeschlossener Pflicht-teilserbe bloss ein potenzieller (virtueller) Erbe ist, bis er gegen die letztwillige Verfügung mittels Herabsetzungsklage vorgeht und seinen Pflichtteil erhält. Unterlässt er es, die Herabsetzungsklage innerhalb der Verjährungsfrist von Art. 533 ZGB zu erheben, verliert er definitiv seine Erbenstellung.
Auf nichts anderes als auf dieses Recht zur Erhebung der Herabsetzungsklage sollten die Nachkommen mit Ziffer 3.2 des Ehe- und Erbvertrages aufmerksam gemacht werden, falls sie mit der pflichtteilsverletzenden erbvertraglichen Vereinbarung nicht einverstanden sein sollten.
Als Nacherben haben […] und […] am Nachlass des erst verstorbenen Ehegatten lediglich eine suspensiv bedingte (virtuelle) Erbenstellung im Hinblick auf das Ableben von […]. Die Nacherben auf den Überrest sind blosse Rechtsnachfolger unter aufschiebender Bedingung resp. Anwärter auf die Erbschaft; sie haben keine Erbenstellung im ersten Erbgang.
Als Nacherben erlangen […] und […] somit im Nachlass von […] erst dann eine Erbenstellung, wenn entweder
a) der Nacherbfall eintritt, das heisst mit dem Ableben der Vorerbin […] oder
b) mit dem Urteil, das die Herabsetzung gewährt (Herabsetzungsklage gemäss Art. 522 Abs. 1 und 531 ZGB; analog zu BGE 138 III 354, E. 5, vgl. dazu auch
BGE 139 V 1 Nr. 1 E 4).
Zusammenfassend ergibt sich aus den obigen Ausführungen, dass die «Wahlerklärung» vom 19. Juni 2014 keine Erbenstellung begründet hat und auch keine solche begründen kann. Solange die Gegenpartei keine Herabsetzungsklage erhebt, sind diese als Nacherben zu betrachten. Sollten sie eine Herabsetzungsklage erheben, erlangen sie erst mit dem Urteil, das die Herabsetzung gewährt, eine unbedingte Erbenstellung.
[…] und […] können deshalb im Erbschein über […] nicht als Erben aufgeführt werden.
Die Verfügung über die Testamentseröffnung vom 14. Juni 2014 ist vollkommen richtig und korrekt. Dies ergibt sich sowohl aus dem eröffneten Ehe- und Erbver-trag als auch aus unseren obigen Ausführungen. Es besteht kein Grund für eine «Korrektur» oder «Anpassung» […] und […] sind zurzeitn Nacherben und haben keine Erbenstellung.
Schlussbemerkung
Die gegenseitige Einsetzung als alleinige Vorerben bzw. die eindeutige gegenseitige Begünstigung der beiden Ehegatten erweist sich mittlerweile als eine absolut nötige, nachvollziehbare und geschickte Vorgehensweise. Zumal es mit Bestimmtheit nicht der Wille beider Ehegatten war, dass Pflichtteilserben in der Erbbescheinigung als Erben auftreten und allenfalls das – zum allergrössten Teil gemeinsam erschaffene und aufgebaute Hab und Gut blockieren können. Aus diesem Grund wurde im Ehe- und Erbvertrag verfügt, dass für den Fall der Geltendmachung des Pflichtteils ein solcher in bar abgegolten werden könne und der Vorerbe berechtigt ist, alle Nachlassaktiven in natura an sich zu ziehen und insbesondere die Grundstücke von […] in das Alleineigentum der Ehefrau zu übertragen seien.
Genau deshalb ist es richtig und notwendig, dass die Gegenpartei für die Geltendmachung des von der Vorerbschaft unbelasteten Pflichtteils wie vom Gesetz vorgesehen auf die Herabsetzungsklage verwiesen wird.
Ich ersuche Sie um antragsgemässe Entscheidung und danke für Ihre Kenntnisnahme und Ihr damit verbundenes Engagement.
Mit freundlichen Grüssen
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